Freitag, 13. Dezember 2013

Do-It-Yourself

Vom Deutschen Historischen Institut in Washington gibt es einen interessanten Call for Papers (http://www.ghi-dc.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1422&Itemid=1232) für einen Workshop zum Thema Geschichte des Selbermachens (Do-It-Yourself). In der Tat ist das ein interessantes Thema, zu dem noch nicht viele wissenschaftliche Studien vorliegen. Vom Standpunkt der Konsumgeschichte ist das Interessante daran, dass Selbermachen einerseits als Negation der modernen kommerziellen Konsumgesellschaft erscheint, die ja auf Kaufen und Verkaufen beruht. So grenzen viele Historiker den modernen Konsum auch von der traditionellen Selbstversorgung ab. Andererseits lässt sich leicht zeigen, dass diese Abgrenzung nie vollständig sein kann. Anders formuliert: auch zum modernen Konsum gehörte das Selbermachen immer dazu, sei es als Aneignung von Gegenständen wie Auto-Tuning, sei es als traditionell weiblich konnotierte Hausarbeit wie das Ausbessern von Kleidung etc. Somit handelt es sich bei der wohl in der Nachkriegszeit in den USA entstandenen Do-It-Yourself-Bewegung weniger um einen Gegenentwurf zum modernen Konsum, sondern eher um eine Substitution des Konsums von Dienstleistungen (z.B. Reparaturen durch Handwerker) durch den Konsum von materiellen Objekten (Werkzeug etc.).
Ich habe nur am Rande zu dem Thema geforscht, aber ein oder zwei Bemerkungen sollen hier dennoch gemacht werden. Erstens dürfte die Abgrenzung zur traditionellen Selbstversorgung schwierig sein. Schließlich war es lange Zeit die Regel, dass bestimmte Konsumgüter wie Kleidung, Möbel oder Hausrat selbst repariert wurden, lange bevor man von „Do-It-Yourself“ gesprochen hat. Die traditionelle Selbstversorgung wird in ihrer Bedeutung häufig unterschätzt. Allzu oft liest man pauschale Behauptungen, dass sie durch die Industrialisierung und Urbanisierung des 19. Jahrhunderts mehr und mehr verdrängt worden sei. Das ist zwar nicht falsch, unterschätzt aber die Rolle, die die Selbstversorgung im 20. Jahrhundert in Not- und Krisenzeiten für die Stadtbevölkerung und zu allen Zeiten für die Landbevölkerung spielte. Ein Beispiel: Für Frankreich im Jahr 1980 wird geschätzt, dass ca. 1/3 des Nahrungsmittelkonsums der ländlichen Bevölkerung (aber nur 5,8 % desselben in der städtischen Bevölkerung) über Selbstversorgung gedeckt wurde. Der Anteil hatte sich gegenüber 1970 nicht verringert. Vielmehr trat in der Nachkriegszeit der Effekt ein, dass die Selbstversorgung auch auf dem Land immer weniger der bloßen Deckung des Bedarfs diente, sondern immer mehr zur Bereicherung des Angebots und aus Gründen der besseren Qualität (Frische!) betrieben wurde (Gabriella Harvey Finazzer, Francia: L´autoconsumo in crisi?, in: Rivista di economia agraria 40 (1985), S. 217-240).
Mit Do-It-Yourself hat das zugegebenermaßen wenig zu tun. Hier wäre es zweitens interessant, nach internationalen Unterschieden zu fragen. Für den französischen Kabarettisten Emanuel Peterfalvi ist das Einkaufen im Baumarkt jedenfalls etwas typisch deutsches, so wie der Schrebergarten oder die Currywurst (http://www.youtube.com/watch?v=ejn_O728krM). Aber ist das so? Hier ist das, was Eurostat zu dem Thema zu sagen hat (http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do;jsessionid=9ea7d07d30de975c9407440845d9a60abfe881637ae0.e34OaN8PchaTby0Lc3aNchuMch0Le0): Der Anteil der Ausgaben eines Haushaltes für „Werkzeuge und andere Gebrauchsgüter für Haus und Garten“ betrug 2005 0,4 % in der EU und 0,5 % im Euroraum. Dass diese Zahlen gemessen am Gesamtbudget eher gering sind, überrascht nicht, wohl aber die temporalen und regionalen Unterschiede. So stieg der Anteil dieses Ausgabepostens in Frankreich zwischen 1988 und 1994 von 0,2 auf 0,9 % und in Großbritannien von 0,1 auf 0,6 %. Das bedeutet für diese beiden Länder einen Sprung auf das Viereinhalb- bzw. Sechsfache innerhalb von lediglich sechs Jahren. Wurden in dieser Zeit die statistischen Erfassungskriterien geändert (das müsste eigentlich in der Tabelle vermerkt sein) oder ist der Anstieg real? Wenn ja, hat die Do-It-Yourself-Bewegung erst um 1990 in diesen beiden Ländern Fuß gefasst?
Bei den regionalen Unterschieden fällt auf, dass sich jedenfalls 2005 (das Jahr, für das die meisten Daten vorliegen) ein deutliches Nord-Süd-Gefälle innerhalb Europas bemerkbar macht. Die Länder mit dem niedrigsten Anteil an Ausgaben für Werkzeug sind Griechenland, Spanien, Portugal, Rumänien und die Türkei (je 0,1 %); den höchsten Anteil haben Schweden (0,9 %), die Niederlande (0,8 %), Norwegen, Dänemark und Malta (0,7 %). Deutschland liegt mit 0,6 % knapp dahinter. Do-It-Yourself scheint also eher ein nordeuropäisches Phänomen zu sein (mit der Ausnahme Maltas). Eine vergleichende Studie verschiedener europäischer Länder wäre durchaus wünschenswert. Hoffen wir, dass der Workshop in Washington hier weitere Aufschlüsse gibt.

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