Dienstag, 3. Dezember 2013

DIe "Italiengeneration"

Eine kleine, aber interessante Forschungskontroverse existiert hinsichtlich des Massenkonsums in der Bundesrepublik Deutschland der 50er und 60er Jahre. Genauer gesagt, geht es um den Einfluss ausländischer Vorbilder auf den bundesdeutschen Massenkonsum im Sinne einer „Westernisierung“ (Anselm Doering-Manteuffel) der frühen Bundesrepublik. Till Manning hat letztes Jahr (2011) eine Dissertationsschrift veröffentlicht, in der er nicht nur den Italientourismus bundesdeutscher Urlauber untersucht, sondern daran weit reichende Behauptungen knüpft. So sei der Italienurlaub stilbildend für eine ganze westdeutsche Konsumentengeneration geworden. Diese These blieb nicht unwidersprochen. Patrick Bernhard hat in einem Aufsatz die bis in die 70er Jahre existierenden mentalen Vorbehalte der Deutschen gegenüber den Italienern als Hindernis für eine „Italianisierung“ der Bundesrepublik betont. Nach meiner Meinung wohl zurecht. Zum Massentourismus, der konsum- und sozialhistorisch in der Tat ein hoch interessantes Phänomen darstellt, sei aus vergleichender europäischer Perspektive noch bemerkt, dass das Reiseverhalten in den einzelnen Ländern in den 50er und 60er Jahren noch sehr unterschiedlich war. In Italien war Urlaub noch kaum verbreitet, Franzosen reisten aufs Land, um Verwandte zu besuchen. Die Briten hatten Mitte der sechziger Jahre zwar die höchste Reiseintensität, blieben aber auf ihrer Insel. Die Deutschen reisten zwar häufiger ins Ausland, aber hier war lange Zeit das kulturell ähnliche Österreich ein beliebteres Reiseziel als Italien oder andere Länder. Klammert man Österreich aus, so reisten selbst Ende der 60er Jahre nicht mehr als 15 % der Bundesbürger ins Ausland. Reicht das für die Bezeichnung „Italiengeneration“? Oder haben wir es nicht doch eher mit einer Schwarzwald- und Sauerlandgeneration zu tun?
Hier die Literaturhinweise: Till Manning, Die Italiengeneration. Stilbildung durch Massentourismus, Göttingen 2011; Patrick Bernhard, “Dolce Vita”, “Made in Italy” und Globalisierung, in: Oliver Janz/ Roberto Sala (Hg.), Dolce Vita. Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland, Frankfurt/ New York 2011, S. 62-81; Manuel Schramm, Nationale Unterschiede im westeuropäischen Massenkonsum. Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien 1950–1970, in: Manuel Schramm (Hg.), Vergleich und Transfer in der Konsumgeschichte, Leipzig 2010 (Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsforschung 6/2009), S. 68-85

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