Freitag, 17. April 2015

Vorlesung Zeitalter der Globalisierung: Einführung

Die Vorlesung in diesem Semester trägt den Titel "Das Zeitalter der Globalisierung. Sozialgeschichte Westeuropas seit 1970". Sie knüpft an die Vorlesung aus dem Sommersemester 2014 an, aber der Besuch der ersten Vorlesung ist keine Teilnahmevoraussetzung. Die dem Titel zugrunde liegende These ist, dass die Zeit seit den 70er Jahren vor allem durch die zunehmende Globalisierung gekennzeichnet ist. Natürlich war die Globalisierung nicht neu, aber sie trat doch um 1970 herum (plus minus ein paar Jahre) in ein neues Stadium. Ob und wann die Globalisierung ein Ende findet, ist noch nicht klar. Manche Beobachter sprachen schon 2012 und 2013 vom Ende der Globalisierung (CNN, Fortune). Der Hintergrund ist, dass der Welthandel in den letzten Jahren nicht oder nur marginal stärker gewachsen ist als die Wirtschaft insgesamt (das Bruttosozialprodukt), wie die folgende Grafik der Welthandelsorganisation WTO verdeutlicht.

Allerdings wäre es eine Verkürzung, Globalisierung auf den Welthandel zu reduzieren.

Der Begriff "Globalisierung" wird erst zu Beginn der 80er Jahre populär, genauer im Jahr 1982, als der Publizist John Naisbitt sein Buch "Megatrends" publizierte und der Ökonom Theodor Levitt einen Aufsatz unter dem Titel "The Globalisation of Markets" in der "Harvard Business Review" veröffentlichte. Beide hatten einen ökonomisch geprägten Globalisierungsbegriff. Levitt argumentierte, die Präferenzen der Konsumenten hätten sich weltweit so weit angeglichen, dass es multi-nationalen Unternehmen möglich sei, standardisierte Produkte weltweit zu vertreiben, ohne teure Anpassungen an die nationalen Märkte vornehmen zu müssen. Naisbitt dagegen glaubte nicht an eine kulturelle Angleichung, sondern argumentierte eher mit globalen Produktionsketten. Die Teile für ein amerikanisches Auto kamen schon zu Beginn der 80er Jahre nicht mehr ausschließlich aus den USA, sondern aus ganz verschiedenen Teilen der Welt.

Argumentierten diese Autoren also vor allem mit wirtschaftlichen Veränderungen, so wird in der aktuellen Diskussion Globalisierung nicht mehr als rein ökonomischer Prozess angesehen, sondern als einer, der mehrere Dimensionen umfasst, z.B. Wirtschaft, Politik, Kultur, Recht, Umwelt etc. Eine brauchbare Definition findet sich bei Müller (s.u., S. 8): "die raum-zeitliche Ausdehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutionen und Diffusion kultureller Muster". Hier wird deutlich, dass es sich bei der Globalisierung (seit den 70er Jahren) um einen gesellschaftlichen Basisprozess handelt, der tendenziell alle Bereiche der Gesellschaft und Kultur, wenn auch in unterschiedlichem Maße, erfasst.

Nun ist Globalisierung an sich nichts völlig Neues. Spätestens seit dem Zeitalter der Entdeckungen (16. Jh.) und noch mehr mit der Verlegung der Übersee-Telegraphenkabel seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Welt zusammengerückt. Es lassen sich, so die allgemein geteilte Meinung, verschiedene Phasen der Globalisierung unterscheiden. Leider stimmen die Experten hier nicht überein, jeder setzt die Zäsuren etwas anders. Peter Fäßler unterscheidet folgende Phasen: die erste Phase 1840-1914, die "Zeit der Gegenläufe" 1914-45, die zweite Globalisierungsphase 1945-1989/90 und die dritte Phase seit 1990. Jürgen Osterhammel und Niels Petersson setzen die Zäsuren dagegen 1750, 1880, 1945 und Mitte der 70er Jahre. Eine relativ stringente, weil auf den ökonomischen Bereich beschränkte Phaseneinteilung stammt von Ulrich Pfister. Er unterscheidet eine Phase der "europäischen Weltwirtschaft" bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, eine Phase der atlantischen Ökonomie 1850-1931, eine Phase der Deglobalisierung 1931-44, eine Phase der organisierten Weltwirtschaft 1944-73 und schließlich einen neuen Globalisierungsschub seit 1973.

Dass sich in der Tat heute gegenüber der Zeit vor 100 Jahren etwas geändert hat, verdeutlichen die folgenden zwei Karten. Die erste zeigt das Telegrafen- und Eisenbahnnetz 1901, die zweite die Welthandelsbeziehungen 2009. Obwohl man die Karten nur schwer direkt miteinander vergleichen kann, werden doch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen deutlich. Um 1900 war die Globalisierung im Wesentlichen eine transatlantische Veranstaltung, während heute Asien eine immer wichtigere Rolle einnimmt.


Was neben dieser geographischen Ausweitung charakteristisch ist für die neue Globalisierungsphase seit den 70er Jahren, ist zum einen die Ausweitung der transnationalen Direktinvestitionen (im Gegensatz zu dem älteren transnationalen Güterhandel), das Wachstum von multi-nationalen Unternehmen und, im politischen Bereich, der Zuwachs an internationalen Organisationen, insbesondere Nichtregierungsorganisationen (INGOs). Das verdeutlichen die nächsten beiden Schaubilder.




Aus diesem besonderen Charakter der Globalisierung nach 1970 rechtfertigt sich die Wahl des Themas als Leitthema für die Vorlesung. Das heißt aber nicht, dass nationale Unterschiede dadurch verschwinden oder unwichtig werden würden.

Literatur:

Peter Fäßler, Globalisierung. Ein historisches Kompendium, Köln 2007
Klaus Müller, Globalisierung, Bonn 2002
Jürgen Osterhammel / Niels Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003

Hier der Plan für die Vorlesung:

13.04.     Globalisierung: Einführung und Überblick
20.04.     Wirtschaftliche Entwicklung
27.04.     Konsum, Lebensstile, Soziale Schichtung
04.05.     fällt aus
11.05.     Massenarbeitslosigkeit, Sozialstaat, Neue Armut
18.05.     Neue Soziale Bewegungen
25.05.     Pfingsten
01.06.     Bildung und Wissensgesellschaft
08.06.     Umweltbewegung und Umweltpolitik
15.06.     Innenpolitik: Fragmentierung der Parteiensysteme
22.06.     Außenpolitik: Entspannung und Systemtransformation in Osteuropa; Europäische Integration und
               Erweiterung
29.06.     Multi-Kulti: Einwanderung und Integration
06.07.     Pluralisierung der Kulturen: Hoch- und Populärkultur, Religion und Wertewandel
13.07.     Klausur



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