Die Vorlesung fragt am Beispiel der "neuen Frau" nach dem Wandel der Geschlechterstereotypen und Geschlechterverhältnisse im Westeuropa der 1950er und 60er Jahre. Im 19. Jahrhundert war die Trennung der Geschlechter und die stereotype Zuordnung von Frauen auf die häusliche Sphäre verschärft worden. In der Konsumgesellschaft des 19. Jahrhunderts kam der Frau, jedenfalls in den oberen und z.T. in den mittleren Schichten, die Funktion zu, den Wohlstand des Mannes zu demonstrieren (Thorstein Veblen). Die Damenmode war daher fortwährend im Wandel begriffen, während die (bürgerlichen) Herren sich scheinbar daraus zurückzogen und einen schlichten dunklen Anzug trugen.
Die bürgerliche Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts kämpfte für das Recht auf Bildung, auf Erwerbsarbeit und das Wahlrecht. Diese Forderungen wurden erst im 20. Jahrhundert verwirklicht: das Wahlrecht in Deutschland 1918, in Großbritannien 1928, in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien oder Belgien erst in den 1940er Jahren. Bis 1977 konnte in der Bundesrepublik Deutschland der Ehemann gegen die Erwerbsarbeit seiner Frau Einspruch einlegen, wenn dies seiner Meinung nach zu einer Beeinträchtigung ihrer häuslichen Pflichten führte.
Zwar war der Begriff "new woman" auch schon in den USA der Jahrhundertwende gebräuchlich, aber die eigentlichen Vorläufer waren die "flappers" der 20er Jahre, die eine neue Mode (kurze Haare, schlanke Figur, Verzicht auf Mieder) einführten und einen unabhängigen Lebensstil pflegten. Diese Bewegung dürfte sozial beschränkt gewesen sein.
Das wichtigste Medium zur Popularisierung des neuen Frauenbildes waren die Frauenzeitschriften. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg begannen sie, arbeitende Frauen darzustellen, und Feministinnen wie Eleanor Roosevelt schrieben Artikel für Zeitschriften wie "Woman´s Home Companion". In Westeuropa waren es Zeitschriften wie "Elle" in Frankreich (ab 1947) oder die "Brigitte" (nach einer Neugestaltung 1957), die das neue Frauenbild propagierten. Die "neue Frau" wurde darin durchweg als modern, selbstbewusst (aber dennoch in einer festen Partnerschaft lebend) und konsumorientiert porträtiert. Die "neue Frau" konsumierte, so die Botschaft, nun mehr für sich selber anstatt immer nur die Wünsche des Mannes zu erfüllen. Ein solcher Konsumfeminismus ("commodity feminism", Robert Goldman) war lukrativ. Viele Frauenzeitschriften bestanden im Wesentlichen nämlich aus Werbung: ungefähr zur Hälfte aus gekennzeichneter Werbung und zu einem weiteren Viertel aus redaktionellen Kaufempfehlungen, bei denen es sich um verdeckte Werbung gehandelt haben dürfte.
Die "neue Frau" war aber nicht nur ein Medienphänomen. Obwohl in den 50er Jahren in einigen Ländern wie Italien oder Irland die katholische Kirche einen großen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatte und das Ideal der Mütterlichkeit stark betont wurde (Marina D´Amelia), nahm die Erwerbsarbeit von Frauen seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre zu. Zunehmend gingen vor allem auch verheiratete Frauen arbeiten, während nach den traditionellen Vorstellungen Frauen nur bis zur Heirat einer außer-häuslichen Erwerbstätigkeit nachgehen durften.
Die ob-Werbung aus der "Brigitte" von 1957 demonstriert das neue Frauenbild. Die moderne Frau ist unabhängig (als Hausfrau, Mutter oder im Beruf) und genießt das Leben, während die Großmutter auf vieles verzichten musste:
Der Frauenbewegung der 70er Jahre war das Ideal der "neuen Frau" jedoch nicht mehr emanzipiert genug. Die Frauenzeitschriften gerieten zunehmend in die Kritik einer neuen Generation von Feministinnen, haben aber dennoch eine große Leserschaft. Die "neue Frau" ist heute aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend verschwunden, könnte aber in der Praxis durchaus weiterleben. Dieses Frauenbild stellt eine in gewisser Weise durchaus angemessene Reaktion auf den Durchbruch des Massenkonsums dar: Frauen wurden zwar schon traditionell mit Konsum (und Männer mit Produktion) identifiziert, aber dennoch konnte die Frau als Konsumentin um ihrer selbst Willen neu entdeckt werden. Damit vereinigte sich eine Auflockerung, wenn auch nicht unbedingt Ablösung, der traditionellen Geschlechterrollen mit der Ausweitung des Konsums.
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