Mittwoch, 16. April 2014

Vorlesung Zeitalter des Massenkonsums: Wirtschaftliche Entwicklung

In dieser Vorlesung ging es um den Wirtschaftsboom der 1950er und 60er Jahre in Westeuropa. Wie die folgende Graphik verdeutlicht, war es eine Zeit außerordentlich hoher Wachstumsraten (in BIP/Kopf) im Vergleich zu den vorherigen oder nachfolgenden Perioden.
Der Boom, in Deutschland immer noch häufig als "Wirtschaftswunder" bezeichnet, war also kein deutsches, sondern ein (mit wenigen Ausnahmen) westeuropäisches Phänomen, in gewisser Weise sogar ein globales. Das folgende Diagramm zeigt, dass auch die Wirtschaft anderer Weltregionen in dieser Zeit wuchs, wenn auch nicht unbedingt mit derselben Geschwindigkeit. Es zeigt auch, dass Westeuropa (gemessen am BIP/Kopf) noch deutlich hinter den USA zurück lag.
Weiter ist nach einzelnen Ländern zu differenzieren. Das folgende Diagramm zeigt, dass das Wachstum der bundesdeutschen Wirtschaft zwar auch im europäischen Vergleich gut abschnitt, aber nicht aus dem Rahmen fiel. Stark war das Wachstum daneben auch in Italien und (in den 60er Jahren) Spanien. Frankreich nahm eine mittlere Stellung ein, während das Wachstum in Großbritannien deutlich schwächer ausfiel. Unter den großen Ländern Westeuropas ist aber eher Großbritannien und der relative Niedergang seiner Wirtschaft die Ausnahme als Westdeutschland.
Schließlich wurden die Ursachen für das starke Wachstum diskutiert. Folgende fünf Einflussfaktoren, die sich nicht unbedingt ausschließen, wurden genannt:

1. Rekonstruktion
2. Struktureller Wandel
3. Diffusion von Innovationen
4. Marshall-Plan und öffentliche Investitionen
5. Inner-europäischer Handel

Unter Wirtschaftshistorikern herrscht nach wie vor Uneinigkeit über die Gewichtung der einzelnen Faktoren. Auf diese Forschungskontroverse näher einzugehen, ist hier aus Platzgründen nicht möglich. Zu den genannten fünf Faktoren gibt es in der Literatur noch weitere, die aber nicht so wichtig sind, da sie als widerlegt gelten können (z. B. die Theorie der "langen Wellen" oder die v.a. für Deutschland vorgetragene Strukturbruch-Hypothese).
Zu den einzelnen Faktoren: Rekonstruktionseffekte dürften vor allem in den 50er Jahren in stark zerstörten Ländern wie Deutschland eine gewisse Rolle gespielt haben, können aber das anhaltende Wachstum über ca. 25 Jahre nicht erklären. Am wichtigsten scheint der strukturelle Wandel zu sein, also die Verschiebung von Produktionsfaktoren von wenig produktiven in produktivere Bereiche, z.B. von der Landwirtschaft in die Industrie. Das würde erklären, warum noch stark agrarisch geprägte Länder wie Italien oder Spanien relativ hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten. Wichtig ist auch die Diffusion von Innovationen, vor allem in der Industrie, aus den USA. Der Technologietransfer erlaubte ein spürbares Aufholen in der Produktivität. Umstritten ist die Rolle des Marshall-Plans. Obwohl die Beträge in der Gesamtsumme nicht sehr groß waren, wird von einigen Historikern argumentiert, dass sie wichtige "Flaschenhälse" beseitigt hätten. Allerdings gehörte z.B. auch Großbritannien zu den bevorzugten Empfängerländern, ohne dass sich hier starke Wachstumseffekte eingestellt hätten. Offensichtlich kam es also auch auf die Verwendung der Gelder an. Aber zu bestimmten Zeiten, vor allem in den frühen 50er Jahren, waren Gelder aus dem Marshall-Plan und andere öffentliche Investitionen in manchen Ländern durchaus hilfreich, quasi als Anschubfinanzierung. Der innereuropäische Handel kam dagegen erst nach dem Inkrafttreten der Römischen Verträge 1958 richtig in Schwung. Zwar wuchs der Außenhandel in den 50er und 60er Jahren stets stärker als das BIP, aber von einem doch recht niedrigen Niveau aus. Nennenswerte Wachstumtseffekte ergaben sich daher erst zum Ende des Zeitraums, in den späten 60ern.




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