Mittwoch, 30. April 2014

Vorlesung Zeitalter des Massenkonsums: Autos und Haushaltstechnisierung

Die Vorlesung beschäftigte sich mit den wichtigsten Gütern des Massenkonsums der 50er und 60er Jahre, nämlich (privaten) PKW auf der einen und elektrischen Haushaltsgeräten (v.a. Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernseher) auf der anderen Seite. Nach der Befriedigung der unmittelbaren Grundbedürfnisse in der Nachkriegszeit und in den frühen 50er Jahren richteten sich die Begehrlichkeiten der westeuropäischen Konsumenten vor allem auf diese relativ teuren und langlebigen Güter. Gleichzeitig gingen von dieser Nachfrage erhebliche wirtschaftliche Wachstumsimpulse aus.
Betrachten wir zunächst die Entwicklung im Bereich der PKW. Von den westeuropäischen Ländern hatten vor allem Großbritannien und Frankreich vor dem Krieg bereits nennenswerten PKW-Besitz aufzuweisen. In Deutschland war das Auto vor 1914 ein Spielzeug der Reichen gewesen. In der Zwischenkreigszeit verbreitete es sich vor allem als Firmenfahrzeug, aber noch kaum als privates Verkehrsmittel. Zwischen 1939 und 1950 stagnierte der PKW-Besitz in Westeuropa bzw. ging sogar zurück. Ein starkes Wachstum setzte dann nach 1950 ein, wobei die Länder stärkere Wachstumsraten verzeichneten, die von einer geringeren Basis ausgingen, wie die BR Deutschland und Italien. Der PKW-Besitz wurde mehr oder weniger allgemein. jedoch unterschieden sich die Autos sowohl von Land zu Land wie nach sozialer Schicht. Anstelle der Unterscheidung Autobesitzer / Nicht-Autobesitzer wurde nun wichtig, welches Auto man fuhr.


In den meisten Ländern dominierten Kleinwagen wie der Fiat 500 in Italien, der 2CV und Renault 4 in Frankreich oder der (etwas größere) Volkswagen in Deutschland. Letzterer wurde im Lauf der 50er Jahre sogar zum Symbol des "Wirtschaftswunders". Der private PKW verdrängte zunehmend die Eisenbahn als Verkehrsmittel. Flugreisen wurden erst später für die breite Bevölkerung erschwinglich (siehe Abbildung für Deutschland). Damit lässt sich das Auto als Mittel der Privatisierung der Mobilität begreifen.


Die Verbreitung der neuen Haushaltsgeräte hing von verschiedenen Voraussetzungen ab, unter anderem der flächendeckenden Elektrifizierung. Für eine Waschmaschine benötigte man in den 50ern noch einen Starkstrom-Anschluss. Die Begehrlichkeiten der meisten Deutschen richteten sich vor allem auf den Kühlschrank, was zum einen auf die Entbehrungserfahrungen der Nachkriegszeit, vor allem aber wohl auf das Angebot an relativ preiswerten Tischkühlschränken zurückgeführt werden kann. Dagegen verbreiteten sich Fernseher in Großbritannien besonders schnell, was wohl mit der Zulassung von Privatfernsehen (ITV) bereits 1955 zusammen hängen dürfte.


Die Kontrolle über die Inhalte des Fernsehens variierte von Land zu Land. Privatfernsehen war zunächst in Europa die Ausnahme. In Deutschland wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk institutionalisiert, der eine Balance aus gesellschaftlicher und politischer Kontrolle einerseits und Freiheit der Redaktionen andererseits gewährleisten sollte. Ausgesprochener Staatsrundfunk dominierte dagegen in Frankreich und de facto auch in Italien. Die Auswirkungen des Fernsehkonsums sind schwer abzuschätzen. Bekannt ist lediglich, dass die Versuche der Sender scheiterten, ihr Publikum zu erziehen. Überall waren Unterhaltungsprogramme wie Spielshows oder Serienkrimis die beliebtesten Fernsehformate (in Italien sogar das Werbefernsehen). Kulturell gesehen trug das Fernsehen, jedenfalls in den großen Ländern, zur Homogenisierung bei, da eine nationale Sehgemeinschaft gebildet wurde.
Die Auswirkungen der Haushaltstechnisierung auf die Hausarbeit sollte man zunächst nicht überschätzen. Zeitbudget-Untersuchungen zeigen, dass der Zeitaufwand für Hausarbeit bis in die 60er Jahre nicht zurück ging. Erst danach sank er deutlich. Allerdings blieb die Hausarbeit fast überall überwiegend Frauensache, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Mehrere Gründe waren ausschlaggebend für die zunächst geringen Zeitgewinne: Viele Waschmaschinen waren keine Vollautomaten, so dass aufwendige Nebenarbeiten zu verrichten blieben. Gleichzeitig stieg der Anspruch an die Sauberkeit der Kleidung sowie im Haushalt generell.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Verbreitung der genannten Güter bedeutsame Veränderungen in den Bereichen Mobilität, Freizeitgestaltung und Hausarbeit mit sich brachte. Allerdings wurden nationale, soziale und geschlechtsspezifische Unterschiede dadurch keineswegs eingeebnet, sondern existierten in z.T. veränderter Form weiter.



Mittwoch, 16. April 2014

Vorlesung Zeitalter des Massenkonsums: Wirtschaftliche Entwicklung

In dieser Vorlesung ging es um den Wirtschaftsboom der 1950er und 60er Jahre in Westeuropa. Wie die folgende Graphik verdeutlicht, war es eine Zeit außerordentlich hoher Wachstumsraten (in BIP/Kopf) im Vergleich zu den vorherigen oder nachfolgenden Perioden.
Der Boom, in Deutschland immer noch häufig als "Wirtschaftswunder" bezeichnet, war also kein deutsches, sondern ein (mit wenigen Ausnahmen) westeuropäisches Phänomen, in gewisser Weise sogar ein globales. Das folgende Diagramm zeigt, dass auch die Wirtschaft anderer Weltregionen in dieser Zeit wuchs, wenn auch nicht unbedingt mit derselben Geschwindigkeit. Es zeigt auch, dass Westeuropa (gemessen am BIP/Kopf) noch deutlich hinter den USA zurück lag.
Weiter ist nach einzelnen Ländern zu differenzieren. Das folgende Diagramm zeigt, dass das Wachstum der bundesdeutschen Wirtschaft zwar auch im europäischen Vergleich gut abschnitt, aber nicht aus dem Rahmen fiel. Stark war das Wachstum daneben auch in Italien und (in den 60er Jahren) Spanien. Frankreich nahm eine mittlere Stellung ein, während das Wachstum in Großbritannien deutlich schwächer ausfiel. Unter den großen Ländern Westeuropas ist aber eher Großbritannien und der relative Niedergang seiner Wirtschaft die Ausnahme als Westdeutschland.
Schließlich wurden die Ursachen für das starke Wachstum diskutiert. Folgende fünf Einflussfaktoren, die sich nicht unbedingt ausschließen, wurden genannt:

1. Rekonstruktion
2. Struktureller Wandel
3. Diffusion von Innovationen
4. Marshall-Plan und öffentliche Investitionen
5. Inner-europäischer Handel

Unter Wirtschaftshistorikern herrscht nach wie vor Uneinigkeit über die Gewichtung der einzelnen Faktoren. Auf diese Forschungskontroverse näher einzugehen, ist hier aus Platzgründen nicht möglich. Zu den genannten fünf Faktoren gibt es in der Literatur noch weitere, die aber nicht so wichtig sind, da sie als widerlegt gelten können (z. B. die Theorie der "langen Wellen" oder die v.a. für Deutschland vorgetragene Strukturbruch-Hypothese).
Zu den einzelnen Faktoren: Rekonstruktionseffekte dürften vor allem in den 50er Jahren in stark zerstörten Ländern wie Deutschland eine gewisse Rolle gespielt haben, können aber das anhaltende Wachstum über ca. 25 Jahre nicht erklären. Am wichtigsten scheint der strukturelle Wandel zu sein, also die Verschiebung von Produktionsfaktoren von wenig produktiven in produktivere Bereiche, z.B. von der Landwirtschaft in die Industrie. Das würde erklären, warum noch stark agrarisch geprägte Länder wie Italien oder Spanien relativ hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten. Wichtig ist auch die Diffusion von Innovationen, vor allem in der Industrie, aus den USA. Der Technologietransfer erlaubte ein spürbares Aufholen in der Produktivität. Umstritten ist die Rolle des Marshall-Plans. Obwohl die Beträge in der Gesamtsumme nicht sehr groß waren, wird von einigen Historikern argumentiert, dass sie wichtige "Flaschenhälse" beseitigt hätten. Allerdings gehörte z.B. auch Großbritannien zu den bevorzugten Empfängerländern, ohne dass sich hier starke Wachstumseffekte eingestellt hätten. Offensichtlich kam es also auch auf die Verwendung der Gelder an. Aber zu bestimmten Zeiten, vor allem in den frühen 50er Jahren, waren Gelder aus dem Marshall-Plan und andere öffentliche Investitionen in manchen Ländern durchaus hilfreich, quasi als Anschubfinanzierung. Der innereuropäische Handel kam dagegen erst nach dem Inkrafttreten der Römischen Verträge 1958 richtig in Schwung. Zwar wuchs der Außenhandel in den 50er und 60er Jahren stets stärker als das BIP, aber von einem doch recht niedrigen Niveau aus. Nennenswerte Wachstumtseffekte ergaben sich daher erst zum Ende des Zeitraums, in den späten 60ern.




Dienstag, 8. April 2014

Vorlesung Zeitalter des Massenkonsums: Einführung

Die erste Vorlesung beinhaltete im Wesentlichen eine Einführung in die Thematik und die Vorstellung des Vorlesungsplans. Der Plan gliedert sich nach thematischen Komplexen, also nicht chronologisch oder geographisch. Die Grundidee ist, dass der Übergang zum Massenkonsum nach dem Zweiten Weltkrieg die westeuropäischen Gesellschaften in allen Bereichen veränderte. Diesen Prozess gilt es nachzuzeichnen. Die nächste Vorlesung wird sich mit dem Wirtschaftswachstum dieser Zeit als Voraussetzung für die Zunahme des Konsums beschäftigen, die Vorlesungen danach mit verschiedenen Dimensionen des Massenkonsums. Danach wird ein Blick auf die Auswirkungen des Übergangs zum Massenkonsum in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen geworfen, wie soziale Schichtung, Geschlechterverhältnisse, Politik und Kultur. Hier der Vorlesungsplan:
Als Einführung in die Thematik wurden verschiedene Definitionen des Konsums diskutiert. Sie sind bewusst weit gefasst und wertneutral gehalten (siehe Bild).
Neben dem Begriff des Konsums wurde auch der häufig verwendete Begriff "Konsumgesellschaft" diskutiert. In Anlehnung an den Sozialhistoriker Michael Prinz lassen sich die folgenden Kriterien für eine Konsumgesellschaft benennen.
Prinz legt Wert darauf, dass es sich dabei um einen Tendenzbegriff handelt, d.h. eine Gesellschaft ist immer nur mehr oder weniger eine Konsumgesellschaft, je nachdem, inwieweit die oben stehenden Kriterien erfüllt sind. Daher lässt sich nicht mit mathematischer Exaktheit sagen, wann die westeuropäischen Gesellschaften zu Konsumgesellschaften geworden sind.
Hinsichtlich der Periodisierung der europäischen Konsumgeschichte besteht keine Einigkeit unter Historikern. Manche sehen wesentliche Elemente der modernen Konsumgesellschaft bereits in der Renaissance begründet oder gar vorweg genommen, andere setzen später ein.

Für jeden Periodisierungsvorschlag gibt es Argumente, deren Diskussion hier den Rahmen sprengen würde. Wichtig erscheint mir jedoch im Hinblick auf das Thema der Vorlesung, dass der Massenkonsum nach dem Zweiten Weltkrieg zwar in mancher Hinsicht neu war, jedoch wesentliche Elemente der Konsumgesellschaft auch in Europa bereits vorher ausgeprägt waren. Beispiele dafür sind die Werbung, das feste Ladengeschäft oder das Warenhaus als tragende Pfeiler modernen Kaufkonsums.