Donnerstag, 11. Juni 2015

Vorlesung Zeitalter der Globalisierung: Umweltbewegung und Umweltpolitik

Umweltprobleme an sich waren nichts Neues in den 70er Jahren, aber dennoch sehen die meisten Umwelthistoriker in der Zeit um 1970 einen Einschnitt, wahlweise als "ökologische Revolution" (Frank Uekötter", "Ära der Ökologie" (Joachim Radkau) oder "1970er Diagnose" (Patrick Kupper) bezeichnet. Neu war weniger der Umweltschutz an sich, den hatte es auch schon in der Naturdenkmalpflege und der Heimatschutzbewegung um 1900 gegeben. Aber neu war doch die Massenmobilisierung und Politisierung des Themas. Neue Organisationen wurden gegründet (Friends of the Earth 1969, Greenpeace 1971, Robin Wood 1982), die andere Aktionsformen verwendeten als die klassische Lobbyarbeit. Auch die Umweltpolitik als eigenständiges Politikfeld entstand um 1970: in den USA wurde 1970 unter Präsident Nixon die Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency) gegründet, in der Bundesrepublik wurde 1969 eine Abteilung für Umweltschutz im Bundesinnenministerium eingerichtet und selbst die DDR bekam 1971 ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Andere Umweltministerien auf nationaler Ebene wurden ebenfalls in den 70er und 80er Jahren eingerichtet: in Großbritannien 1970, in Frankreich 1971, in Norwegen 1972, in Italien 1981, in den Niederlanden 1982, in der Bundesrepublik 1986, in Schweden 1987 etc.

Warum die moderne Umweltschutzbewegung um 1970 entstand, und inwiefern sie sich von ihren Vorläufern unterschied, ist in der Forschung nach wie vor Gegenstand von Diskussionen. Sicher ist, dass Umweltthemen noch in der 68er-Bewegung keine Rolle spielten und die Bewegung aus den USA kam, wo schon im Frühjahr 1970 der erste "Earth Day" mit vielen öffentlichkeitswirksamen Aktionen begangen wurde. Eine der Gründerfiguren der amerikanischen Umweltbewegung war die Biologin Rachel Carson, die 1962 ein alarmierendes Buch über die Auswirkungen des Insektizids DDT ("Der stumme Frühling") veröffentlichte, in dem sie die Anreicherung von DDT in der Nahrungskette problematisierte und vor einem großen Vogelsterben warnte. In gewisser Weise ist dies symptomatisch für die Umweltschutzbewegung: sie wird stark von Wissenschaftlern und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen dominiert, sie gewinnt Aufmerksamkeit mit einem gewissen Alarmismus (der manchmal gerechtfertigt ist, aber manchmal auch nicht), und sie thematisiert im Sinne der "Ökologie" (eigentlich ein Spezialgebiet der Biologie) den Zusammenhang bzw. das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Lebewesen. Die Grundidee der Ökologie ist, dass es im Prinzip ein Gleichgewicht in der Natur gibt, das auf Störungen empfindlich reagiert. Solche Gedanken waren dem Naturschutz um 1900 noch fremd.

Die Themen des Umweltschutzes sind zu vielfältig, um hier ausführlich behandelt zu werden. Eine besonders stark polarisierende Debatte betraf die Atomenergie (Atomkraft, Kernkraft). Die Anti-AKW-Bewegung lässt sich nicht sinnvoll von der Umweltbewegung trennen. Die Atomenergie galt in den 50er und 60er Jahren als die Energieform der Zukunft. Der Bau der Atomkraftwerke für die zivile Nutzung setzte jedoch erst in den 70er Jahren ein und traf auf den Widerstand der entstehenden Anti-AKW-Bewegung, wie 1975 im badischen Wyhl. Auch in Frankreich und Spanien fanden 1977 große Anti-AKW-Demonstrationen statt. Die Bedenken richteten sich meist gegen die Gefahr von Unfällen, bisweilen auch auf die Strahlung im Normalbetrieb und das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Durch die Unfälle von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 wurden die Befürchtungen der Gegner bestätigt, dass ein Unfall mit Kernschmelze und massiver Freisetzung von Radioaktivität möglich ist. Mehrere Staaten beschlossen den Ausstieg  aus der Atomenergie oder den Nichteinstieg in dieselbe: 1978 Österreich, 1985 Dänemark, 1987 Italien, 2000 Deutschland, 2003 Belgien, 2011 die Schweiz. Andere Staaten, darunter Großbritannien, Frankreich, die USA, die Türkei oder Japan, halten an der Atomenergie fest oder wollen deren Anteil an der Stromerzeugung noch ausbauen.

Quelle: Eurostat
 Die Umweltbewegung war zwar von Beginn an international, jedoch konnten lokal oder regional auch besondere Themen in den Vordergrund treten. Besonders deutlich wurde dies zu Beginn der 80er Jahre mit dem so genannten "Waldsterben", das nur im deutschsprachigen Raum ein Thema war und mittlerweile als Lehnwort Eingang in die französische und englische Sprache gefunden hat. Der Hintergrund war, dass um 1980 tatsächlich neuartige Waldschäden in deutschen Wäldern auftraten, für die man bis dahin keine ausreichende Erklärung hatte (und deren Ursache noch immer umstritten ist). Der Forstwissenschaftler Bernhard Ulrich und andere Wissenschaftler führten diese Schäden auf den "sauren Regen" und damit indirekt auf die Luftverschmutzung mit Schwefeldioxid zurück. Sie prognostizierten ein großflächiges Absterben der Wälder, sollte die Luft nicht besser werden. Popularisiert wurde diese These vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im November 1981. Die Prognose erfüllte sich nicht, der Zustand des Waldes blieb seit Mitte der 80er Jahre ungefähr stabil. Umstritten ist, ob dies auf die Maßnahmen zur Luftreinhaltung (v.a. Einbau von Entschwefelungsanlagen) zurückzuführen ist, oder ob die Prognose von Beginn an überzogen war. Vieles spricht für letzteres, denn ein großflächiges Waldsterben ist in Europa auch anderswo nicht vorgekommen.


Solche falschen Alarme lassen sich nicht immer vermeiden, erweisen aber der Sache des Umweltschutzes letztlich einen Bärendienst: Sie führen dazu, dass selbst ernstzunehmende Warnungen aus der Wissenschaft nicht geglaubt werden. In Umfragen (2010) glaubten 31 % der Deutschen und 25 % der Briten nicht an eine Erwärmung der Erde, wie sie von den Klimaforschern prognostiziert wird (Spiegel, BBC). Dabei ist der Klimawandel wissenschaftlich mittlerweile wesentlich besser erforscht als es das Waldsterben 1981 war. Aber das ist genau das Problem bei vielen heutigen Umweltproblemen: dass sie sich der alltäglichen Wahrnehmung entziehen und nur mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchungen zu erkennen sind.

Der Klimawandel ist bisher noch kein allzu großes Problem, könnte es aber in der Zukunft werden. Die globale Durchschnittstemperatur ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts um ca. 0,8 °C gestiegen. Der weitere Anstieg hängt nach den Berechnungen des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) von der zukünftigen Emission von Treibhausgasen (hauptsächlich CO2) ab. Das von Politikern angegebene Ziel der Begrenzung des Anstiegs auf 2 °C setzt eine bedeutende Reduktion der globalen CO2-Emissionen voraus.

Quelle: IPCC
Die Folgen des Klimawandels für Europa wären voraussichtlich: ein weiteres Abschmelzen der Gletscher mit einer erhöhten Bergrutschgefahr; eine Zunahme von Hitzewellen und ein Rückgang von Kältewellen; ein Anstieg des Meeresspiegels; und eine Zunahme von Starkregen und Hochwasser in den Flüssen.

Trotz aller nach wie vor existierender Probleme sollte aber nicht übersehen werden, dass der Zustand der Umwelt in Europa sich insgesamt seit 1970 deutlich verbessert hat, teilweise durch neue Gesetze und Verordnungen, teilweise durch das allgemein gestiegene Umweltbewusstsein, teilweise auch durch die Deindustrialisierung. So nahm die SO2-Belastung der Luft im Ruhrgebiet seit Mitte der 80er Jahre deutlich ab (siehe Diagramm).

Quelle: Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen

Auch die Wasserqualität des Rheins hat sich deutlich verbessert. In den 60er und 70er Jahren war der Sauerstoffgehalt des Flusses so niedrig, dass viele Tierarten darin nicht mehr leben konnten. Eine Erholung zeichnete sich auch hier seit den 80er Jahren ab. Mittlerweile sollen sogar wieder Lachse gesichtet worden sein. Das zeigt, dass internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes funktionieren kann.

Quelle: Internationale Kommission zum Schutz des Rheins
Auch in Zukunft werden sich die wichtigen Umweltprobleme wie der Klimawandel nur durch internationale Zusammenarbeit lösen lassen, da sie nicht mehr nur lokaler Natur sind. In früheren Zeiten reichte es oft schon, die Schornsteine höher zu bauen, um die Abluft und die darin enthaltenen Schadstoffe besser zu verteilen. Heute geht es darum, nachhaltiges Wachstum zu erreichen, also Wachstum, das langfristig nicht seine eigenen Grundlagen zerstört, und das auf globaler Ebene.

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