Dienstag, 10. März 2015

Fettleibigkeit

Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman hat in einem Blog-Beitrag darauf aufmerksam gemacht, dass es einen Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Politik gibt (Krugman). Er vergleicht dazu den Anteil der Fettleibigen auf der Ebene des US-Bundesstaates mit den Wahlergebnissen in der letzten Präsidentschaftswahl (2012) und kommt tatsächlich zu dem Schluss, dass der "Diabetes-Gürtel" ganz überwiegend konservativ (republikanisch) wählt. Der Zusammenhang wird sogar noch stärker, wenn man die Bevölkerung nach ethnischen Gruppen aufschlüsselt und die ethnischen Minderheiten ausschliesst.

Ich habe versucht, einen ähnlichen Zusammenhang für Europa nachzuweisen. Die Daten habe ich Eurostat (für die Fettleibigkeit) und dem Europäischen Parlament (Europawahlen 2014) entnommen. Die politische Tendenz ist in Europa aber aufgrund der vielfältigeren Parteienlandschaft schwieriger zu messen. Hier wurde der Stimmenanteil der Christdemokraten (Europäische Volkspartei) und Konservativen (EKR) bei der letzten Europawahl (2014) genommen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien (UKIP, Front National) sind hier also nicht enthalten. Hier das Diagramm:


Wenn sich schon kein Zusammenhang zur Politik findet, was für andere Schlüsse lassen sich aus den vorhandenen Daten ziehen? Zunächst ist Fettleibigkeit (nicht: Übergewicht) offenbar ein Problem, das in allen EU-Staaten verbreitet ist und meist zwischen 10 und 20 % der Bevölkerung betrifft. Unterschiede zwischen Frauen und Männern variieren von Land zu Land und sind nicht sonderlich groß. Dass Übergewicht und Fettleibigkeit mit zunehmendem Alter ebenfalls zunehmen, dürfte kaum überraschen. Der Zusammenhang zwischen Bildung und Übergewicht ist nicht eindeutig: in manchen Ländern nimmt der Anteil der Übergewichtigen mit zunehmender Bildung ab (Frankreich, Italien, Spanien), in anderen nimmt er zu (Estland, Lettland, Rumänien, Bulgarien). Könnte es sein, dass in den letztgenannten Ländern, die zu den ärmsten in Europa gehören, Übergewicht immer noch ein Symbol für Wohlstand ist? Zur Erinnerung: Das Schönheitsideal des schlanken Körpers setzte sich in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern in den 1920er Jahren durch, wobei allerdings Übergewicht bei Männern länger toleriert wurde (zum Teil bis in die 1970er Jahre) als bei Frauen.

Bei den Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern würde man ein gewisses Nord-Süd-Gefälle erwarten, da die mediterrane Ernährungsweise als gesünder gilt als die nordeuropäische. Dass die "mediterranean diet" eine Erfindung des amerikanischen Arztes Ancel Keys ist, soll hier nicht weiter verfolgt werden (vgl. David Bell / Gill Valentine, Consuming Geographies, London 1997, S. 156-158).
In der Tat liegen die Länder mit dem niedrigsten Anteil an Fettleibigen in Süd- und Südosteuropa: Rumänien (7,8 %), Italien (10,3 %), Bulgarien (11,5 %) und Frankreich (12,2 %), während die Länder mit dem höchsten Anteil in Nord- und Mitteleuropa liegen: England (23 %), Ungarn (20,1 %), Tschechische Republik (18,4 %) und Estland (18,3 %). Es gibt allerdings auch überraschende Ergebnisse. So ist der Anteil der Fettleibigen in Österreich nur marginal höher als in Frankreich, und in Spanien und Zypern ungefähr so hoch wie in Deutschland, während er in Griechenland sogar deutlich höher liegt.

Am Ende ist aber doch auf eine Tatsache hinzuweisen, die deutlich ins Auge springt: die Zahlen, die Krugman für seine regionale Analyse verwendet, fangen ungefähr da an, wo die europäischen aufhören. Eine Fettleibigkeitsrate von unter 20 % gibt es auf der Ebene der US-Bundesstaaten überhaupt nicht, wärend in Europa nur England und (marginal) Ungarn diese Schwelle überschreiten. Den höchsten Anteil in den USA verzeichnen Arizona, Mississippi und West Virginia mit Anteilen von um die 35 %, ein Hinweis darauf, dass sich europäische und US-amerikanische Konsummuster jedenfalls in der Ernährung immer noch deutlich unterscheiden.

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