Mittwoch, 31. August 2016

Burkini

Zur Zeit (im Sommer 2016) wird besonders in Frankreich erregt über den so genannten "Burkini" gestritten, ein Kleidungsstück, das einige muslimische Frauen zum Baden tragen. Manche sehen darin ein Bekenntnis zu einem fundamentalistischen Islam und wollen es verbieten, wie es in einigen französischen Orten (Cannes oder Nizza) geschah, bis das oberste Verwaltungsgericht das Verbot für unrechtmäßig erklärte. Andere berufen sich auf die Religionsfreiheit und plädieren für Toleranz und die Anerkennung von Diversität.

Was ist aus der Sicht der Konsumgeschichte hierzu zu bemerken? Zunächst sollte man vielleicht kurz die Geschichte des Burkini rekapitulieren (die Washington Post hatte hierzu einen interessanten Artikel). Der Burkini stammt aus Australien, er wurde kurz nach der Jahrtausendwende von einer libanesisch-stämmigen Australierin erfunden, um gläubigen Muslima das Baden zu ermöglichen. Das ursprüngliche Ziel war also keine Trennung zwischen Moslems und Christen, sondern gerade deren Integration unter Beibehaltung von spezifischen Vorstellungen von Sittlichkeit. Aus diesem Grund hatte übrigens schon 2014 der Konstanzer Kulturwissenschaftler Özkan Ezli in einem Gutachten die Zulassung des Burkini als Badebekleidung in Konstanzer öffentlichen Bädern empfohlen (Gutachten).

Es gibt aber durchaus noch andere konsumhistorische Aspekte dieser Frage. So lässt sich beispielsweise durchaus zeigen, dass das Zeigen nackter Haut beim Baden keineswegs ein historisch tief verwurzelter westlicher Wert ist. Vor lediglich 100 Jahren bemühten sich deutsche Frauen, beim Baden möglichst wenig Haut zu zeigen. Auch hier waren Kompromisse zwischen Funktionalität und Moral einzugehen. Auch gab es durchaus Beobachter, die das gemeinsame Baden von Männern und Frauen für moralisch bedenklich hielten. So ein Modekritiker namens Schramm [!]: ,,Mit dem Zartgefühl und der Schamhaftigkeit erscheint es uns unverantwortlich, wenn Damen im offenen
Wasser umherschwimmen für jedermann zur gefälligen Ansicht.” Die Badeanzüge mussten daher möglichs viel verhüllen. Der Bikini ist dagegen bekanntlich eine relativ neue Erfindung, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam.

Man kann zum "Burkini" stehen, wie man will, aber die Berufung auf westliche Werte in diesem Zusammenhang ist aus historischer Sicht problematisch. Wie so oft zeigt ein Blick in die Geschichte vielmehr, wie sich gerade moralische Ansichten relativ schnell wandeln können.

Ein anderer Punkt ist die generelle Frage, ob und inwieweit sich der Staat in Fragen der Bekleidung einmischen soll oder darf. Historisch gesehen war der Niedergang der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleiderordnungen eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg der modernen Konsumgesellschaft, die durch weitgehende Freiheit des Konsumierens gekennzeichnet ist. Soll jetzt tatsächlich die Polizei wieder anfangen, Kleidungsvorschriften zu kontrollieren?

Warenhäuser

Die Geschichte der Warenhäuser hat schon lange erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, gilt doch manchen (nicht allen) Historikern der Aufstieg der Warenhäuser im späten 19. Jahrhundert als Beginn der Konsumgesellschaft. Die Geschichte der Warenhäuser ist somit gut erforscht, u.a. von Rudi Laermans, Detlev Briesen oder Heidrun Homburg. Manche meinen sogar, die Warenhäuser als Thema seien überforscht, es würde ihnen in der Historiographie mehr Aufmerksamkeit zugemessen als ihnen von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gebühre.

Wie dem auch sei, die Geschichte der Warenhäuser scheint ein faszinierendes Thema zu sein. Gleich zwei neuere Bücher zu dem Thema sind erschienen, eine soziologische Dissertation von Thomas Lenz (Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne, Bielefeld 2011) und eine Monographie des Literaturwissenschaftlers Uwe Lindemann (Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne, Köln 2015).

Lenz arbeitet sich an den sozialwissenschaftliche Klassikern Max Weber, Thorstein Veblen, Georg Simmel und Werner Sombart ab. In gewisser Weise scheint sein Interesse eher der Theoriegeschichte zu gelten. Den Diskurs über das Warenhaus um 1900 thematisiert er hinsichtlich der Dimensionen Weiblichkeit, Judentum und Ökonomie. Er sieht insgesamt in der in Deutschland verbreiteten Warenhauskritik um 1900 eine Spielart des "reactionary modernism" im Sinne von Jeffrey Herf. Bestimmte technische und produktive Funktionen des Warenhauses wurden zwar begrüßt, insgesamt aber überwog Skepsis. Frauen wurden als hilflose Opfer betrachtet, Juden als Verführer der ahnungslosen Kunden. In der Kritik des Warenhauses sieht er zurecht eine Kritik der Moderne insgesamt.

In ähnlicher Weise sieht Uwe Lindemann das Warenhaus als "Konzept der Moderne", als "kollektivsymbolisches Gravitationssystem". Auch Lindemann beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Warenhaus und Weiblichkeit sowie (etwas weniger ausführlich) mit dem Antisemitismus der Warenhauskritik. Allerdings werden bei Lindemann noch weit mehr Themen angesprochen, etwa Warenhauspolitik oder Warenhauskultur wie z.B. Schaufenstergestaltung. Er kommt letztlich aber (in einer etwas anderen Terminologie) zu ähnlichen Ergebnissen wie Lenz. Das Warenhaus wird in den Diskursen um 1900 zum "Modell der Moderne" oder "Schauplatz der Moderne", die Kritik an ihm zeige gerade die Krisenhaftigkeit der Moderne auf.

Insgesamt handelt es sich um zwei lesenswerte, sorgfältig recherchierte Bücher, wenn man den ein oder anderen polemischen Seitenhieb bei Lindemann übergeht. Die Ergebnisse sind allerdings wenig überraschend, jedenfalls wenn man mit der bisher erschienenen Literatur vertraut ist. Hilfreich wäre vielleicht ein internationaler Vergleich gewesen, den beide Bücher leider nicht leisten.