Hier ist ein interessanter US-amerikanischer Artikel über die Verbindung von Fast Food und Populismus (Vox). Es geht um Andy Puzder, der Chef einer Fast Food-Kette und gleichzeitig designierter Arbeitsminister ist. Der Artikel argumentiert, dass Puzder trotz seiner eher managementfreundlichen Einstellungen zu Arbeitnehmerrechten eine populistische Wahl darstellt, da der designierte Präsident Trump damit seine kulturelle Nähe zu den Werten und Einstellungen der "kleinen" Leute in den USA demonstriert. Das verweist auf eine interessante Tatsache, die hierzulande gern übersehen wird: Fast Food ist nicht nur in Europa, sondern auch in den USAselbst sehr umstritten. Viele Intellektuelle distanzieren sich von Fast Food, mit ähnlichen Begründungen wie in Europa (Gesundheit, Arbeitnehmerrechte, Ökologie etc.). Gleichzeitig ist es nach wie vor bei vielen Amerikanern der unteren Schichten populär. Somit ist Fast Food zu einem Distinktionskriterium geworden, das von populistischen Politikern gezielt eingesetzt werden kann, um Volksnähe zu demonstrieren - wie eben von Donald Trump oder früher auch von Bill Clinton.
Warum ist das aus konsumhistorischer Perspektive interessant? Ganz einfach: Lange Zeit hat der mainstream der Sozialwissenschaften und auch der Sozialgeschichte die Meinung vertreten, die klassischen sozialen Unterschiede zwischen den Schichten würden sich abschwächen und verlören an Bedeutung. Das Beispiel Fast Food demonstriert das Gegenteil: Der kulturelle Graben zwischen den Schichten scheint eher größer geworden zu sein. Das zeigte sich nicht zuletzt in den Präsidentschaftswahlen der USA, in denen es Trump gelang, das Ressentiment der "kleinen" Leute gegen "die da oben" zu mobilisieren.
Dienstag, 27. Dezember 2016
Mittwoch, 31. August 2016
Burkini
Zur Zeit (im Sommer 2016) wird besonders in Frankreich erregt über den so genannten "Burkini" gestritten, ein Kleidungsstück, das einige muslimische Frauen zum Baden tragen. Manche sehen darin ein Bekenntnis zu einem fundamentalistischen Islam und wollen es verbieten, wie es in einigen französischen Orten (Cannes oder Nizza) geschah, bis das oberste Verwaltungsgericht das Verbot für unrechtmäßig erklärte. Andere berufen sich auf die Religionsfreiheit und plädieren für Toleranz und die Anerkennung von Diversität.
Was ist aus der Sicht der Konsumgeschichte hierzu zu bemerken? Zunächst sollte man vielleicht kurz die Geschichte des Burkini rekapitulieren (die Washington Post hatte hierzu einen interessanten Artikel). Der Burkini stammt aus Australien, er wurde kurz nach der Jahrtausendwende von einer libanesisch-stämmigen Australierin erfunden, um gläubigen Muslima das Baden zu ermöglichen. Das ursprüngliche Ziel war also keine Trennung zwischen Moslems und Christen, sondern gerade deren Integration unter Beibehaltung von spezifischen Vorstellungen von Sittlichkeit. Aus diesem Grund hatte übrigens schon 2014 der Konstanzer Kulturwissenschaftler Özkan Ezli in einem Gutachten die Zulassung des Burkini als Badebekleidung in Konstanzer öffentlichen Bädern empfohlen (Gutachten).
Es gibt aber durchaus noch andere konsumhistorische Aspekte dieser Frage. So lässt sich beispielsweise durchaus zeigen, dass das Zeigen nackter Haut beim Baden keineswegs ein historisch tief verwurzelter westlicher Wert ist. Vor lediglich 100 Jahren bemühten sich deutsche Frauen, beim Baden möglichst wenig Haut zu zeigen. Auch hier waren Kompromisse zwischen Funktionalität und Moral einzugehen. Auch gab es durchaus Beobachter, die das gemeinsame Baden von Männern und Frauen für moralisch bedenklich hielten. So ein Modekritiker namens Schramm [!]: ,,Mit dem Zartgefühl und der Schamhaftigkeit erscheint es uns unverantwortlich, wenn Damen im offenen
Wasser umherschwimmen für jedermann zur gefälligen Ansicht.” Die Badeanzüge mussten daher möglichs viel verhüllen. Der Bikini ist dagegen bekanntlich eine relativ neue Erfindung, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam.
Man kann zum "Burkini" stehen, wie man will, aber die Berufung auf westliche Werte in diesem Zusammenhang ist aus historischer Sicht problematisch. Wie so oft zeigt ein Blick in die Geschichte vielmehr, wie sich gerade moralische Ansichten relativ schnell wandeln können.
Ein anderer Punkt ist die generelle Frage, ob und inwieweit sich der Staat in Fragen der Bekleidung einmischen soll oder darf. Historisch gesehen war der Niedergang der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleiderordnungen eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg der modernen Konsumgesellschaft, die durch weitgehende Freiheit des Konsumierens gekennzeichnet ist. Soll jetzt tatsächlich die Polizei wieder anfangen, Kleidungsvorschriften zu kontrollieren?
Was ist aus der Sicht der Konsumgeschichte hierzu zu bemerken? Zunächst sollte man vielleicht kurz die Geschichte des Burkini rekapitulieren (die Washington Post hatte hierzu einen interessanten Artikel). Der Burkini stammt aus Australien, er wurde kurz nach der Jahrtausendwende von einer libanesisch-stämmigen Australierin erfunden, um gläubigen Muslima das Baden zu ermöglichen. Das ursprüngliche Ziel war also keine Trennung zwischen Moslems und Christen, sondern gerade deren Integration unter Beibehaltung von spezifischen Vorstellungen von Sittlichkeit. Aus diesem Grund hatte übrigens schon 2014 der Konstanzer Kulturwissenschaftler Özkan Ezli in einem Gutachten die Zulassung des Burkini als Badebekleidung in Konstanzer öffentlichen Bädern empfohlen (Gutachten).
Es gibt aber durchaus noch andere konsumhistorische Aspekte dieser Frage. So lässt sich beispielsweise durchaus zeigen, dass das Zeigen nackter Haut beim Baden keineswegs ein historisch tief verwurzelter westlicher Wert ist. Vor lediglich 100 Jahren bemühten sich deutsche Frauen, beim Baden möglichst wenig Haut zu zeigen. Auch hier waren Kompromisse zwischen Funktionalität und Moral einzugehen. Auch gab es durchaus Beobachter, die das gemeinsame Baden von Männern und Frauen für moralisch bedenklich hielten. So ein Modekritiker namens Schramm [!]: ,,Mit dem Zartgefühl und der Schamhaftigkeit erscheint es uns unverantwortlich, wenn Damen im offenen
Wasser umherschwimmen für jedermann zur gefälligen Ansicht.” Die Badeanzüge mussten daher möglichs viel verhüllen. Der Bikini ist dagegen bekanntlich eine relativ neue Erfindung, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufkam.
Man kann zum "Burkini" stehen, wie man will, aber die Berufung auf westliche Werte in diesem Zusammenhang ist aus historischer Sicht problematisch. Wie so oft zeigt ein Blick in die Geschichte vielmehr, wie sich gerade moralische Ansichten relativ schnell wandeln können.
Ein anderer Punkt ist die generelle Frage, ob und inwieweit sich der Staat in Fragen der Bekleidung einmischen soll oder darf. Historisch gesehen war der Niedergang der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleiderordnungen eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg der modernen Konsumgesellschaft, die durch weitgehende Freiheit des Konsumierens gekennzeichnet ist. Soll jetzt tatsächlich die Polizei wieder anfangen, Kleidungsvorschriften zu kontrollieren?
Warenhäuser
Die Geschichte der Warenhäuser hat schon lange erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, gilt doch manchen (nicht allen) Historikern der Aufstieg der Warenhäuser im späten 19. Jahrhundert als Beginn der Konsumgesellschaft. Die Geschichte der Warenhäuser ist somit gut erforscht, u.a. von Rudi Laermans, Detlev Briesen oder Heidrun Homburg. Manche meinen sogar, die Warenhäuser als Thema seien überforscht, es würde ihnen in der Historiographie mehr Aufmerksamkeit zugemessen als ihnen von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gebühre.
Wie dem auch sei, die Geschichte der Warenhäuser scheint ein faszinierendes Thema zu sein. Gleich zwei neuere Bücher zu dem Thema sind erschienen, eine soziologische Dissertation von Thomas Lenz (Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne, Bielefeld 2011) und eine Monographie des Literaturwissenschaftlers Uwe Lindemann (Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne, Köln 2015).
Lenz arbeitet sich an den sozialwissenschaftliche Klassikern Max Weber, Thorstein Veblen, Georg Simmel und Werner Sombart ab. In gewisser Weise scheint sein Interesse eher der Theoriegeschichte zu gelten. Den Diskurs über das Warenhaus um 1900 thematisiert er hinsichtlich der Dimensionen Weiblichkeit, Judentum und Ökonomie. Er sieht insgesamt in der in Deutschland verbreiteten Warenhauskritik um 1900 eine Spielart des "reactionary modernism" im Sinne von Jeffrey Herf. Bestimmte technische und produktive Funktionen des Warenhauses wurden zwar begrüßt, insgesamt aber überwog Skepsis. Frauen wurden als hilflose Opfer betrachtet, Juden als Verführer der ahnungslosen Kunden. In der Kritik des Warenhauses sieht er zurecht eine Kritik der Moderne insgesamt.
In ähnlicher Weise sieht Uwe Lindemann das Warenhaus als "Konzept der Moderne", als "kollektivsymbolisches Gravitationssystem". Auch Lindemann beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Warenhaus und Weiblichkeit sowie (etwas weniger ausführlich) mit dem Antisemitismus der Warenhauskritik. Allerdings werden bei Lindemann noch weit mehr Themen angesprochen, etwa Warenhauspolitik oder Warenhauskultur wie z.B. Schaufenstergestaltung. Er kommt letztlich aber (in einer etwas anderen Terminologie) zu ähnlichen Ergebnissen wie Lenz. Das Warenhaus wird in den Diskursen um 1900 zum "Modell der Moderne" oder "Schauplatz der Moderne", die Kritik an ihm zeige gerade die Krisenhaftigkeit der Moderne auf.
Insgesamt handelt es sich um zwei lesenswerte, sorgfältig recherchierte Bücher, wenn man den ein oder anderen polemischen Seitenhieb bei Lindemann übergeht. Die Ergebnisse sind allerdings wenig überraschend, jedenfalls wenn man mit der bisher erschienenen Literatur vertraut ist. Hilfreich wäre vielleicht ein internationaler Vergleich gewesen, den beide Bücher leider nicht leisten.
Wie dem auch sei, die Geschichte der Warenhäuser scheint ein faszinierendes Thema zu sein. Gleich zwei neuere Bücher zu dem Thema sind erschienen, eine soziologische Dissertation von Thomas Lenz (Konsum und Modernisierung. Die Debatte um das Warenhaus als Diskurs um die Moderne, Bielefeld 2011) und eine Monographie des Literaturwissenschaftlers Uwe Lindemann (Das Warenhaus. Schauplatz der Moderne, Köln 2015).
Lenz arbeitet sich an den sozialwissenschaftliche Klassikern Max Weber, Thorstein Veblen, Georg Simmel und Werner Sombart ab. In gewisser Weise scheint sein Interesse eher der Theoriegeschichte zu gelten. Den Diskurs über das Warenhaus um 1900 thematisiert er hinsichtlich der Dimensionen Weiblichkeit, Judentum und Ökonomie. Er sieht insgesamt in der in Deutschland verbreiteten Warenhauskritik um 1900 eine Spielart des "reactionary modernism" im Sinne von Jeffrey Herf. Bestimmte technische und produktive Funktionen des Warenhauses wurden zwar begrüßt, insgesamt aber überwog Skepsis. Frauen wurden als hilflose Opfer betrachtet, Juden als Verführer der ahnungslosen Kunden. In der Kritik des Warenhauses sieht er zurecht eine Kritik der Moderne insgesamt.
In ähnlicher Weise sieht Uwe Lindemann das Warenhaus als "Konzept der Moderne", als "kollektivsymbolisches Gravitationssystem". Auch Lindemann beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Warenhaus und Weiblichkeit sowie (etwas weniger ausführlich) mit dem Antisemitismus der Warenhauskritik. Allerdings werden bei Lindemann noch weit mehr Themen angesprochen, etwa Warenhauspolitik oder Warenhauskultur wie z.B. Schaufenstergestaltung. Er kommt letztlich aber (in einer etwas anderen Terminologie) zu ähnlichen Ergebnissen wie Lenz. Das Warenhaus wird in den Diskursen um 1900 zum "Modell der Moderne" oder "Schauplatz der Moderne", die Kritik an ihm zeige gerade die Krisenhaftigkeit der Moderne auf.
Insgesamt handelt es sich um zwei lesenswerte, sorgfältig recherchierte Bücher, wenn man den ein oder anderen polemischen Seitenhieb bei Lindemann übergeht. Die Ergebnisse sind allerdings wenig überraschend, jedenfalls wenn man mit der bisher erschienenen Literatur vertraut ist. Hilfreich wäre vielleicht ein internationaler Vergleich gewesen, den beide Bücher leider nicht leisten.
Dienstag, 5. April 2016
Nudging
Ein Kollege aus der Soziologie machte mich neulich darauf aufmerksam, dass in der Verbraucherpolitik "nudging" gerade sehr in Mode sei. Für diejenigen, die es noch nicht kennen: es kommt aus dem Englischen, wo das Verb "nudge" so viel bedeutet wie stoßen oder schubsen. Es geht zurück auf Veröffentlichungen des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Richard Thaler und des amerikanischen Juristen Cass Sunstein. Worum geht es? Im Kern ist "nudging" ein Versuch, das Verhalten von Konsumenten ohne explizite Ge- und Verbote oder finanzielle Anreize (Prämien etc.) zu steuern. Die Rede ist von einem "libertären Paternalismus": Paternalismus, weil versucht wird, das Konsumverhalten zu beeinflussen (z.B. in Richtung auf gesündere Lebensweise oder umweltfreundliches Verhalten); libertär, weil der Einzelne die Möglichkeit hat, ohne große Mühe dieser Steuerung zu entgehen. Nudges sind demzufolge "transparente Gestaltungselemente von Entscheidungssituationen und Verhaltenskontexten, gewählt in Kenntnis der menschlichen Verhaltenstendenzen und Heuristiken" (Lucia Reisch, Nudging in der Verbraucherpolitik, Baden-Baden 2015, S. 19). Attraktiv ist dieser Ansatz für die Politik aus zwei Gründen: zum einen sind Verbote häufig unpopulär, zum anderen kostet "nudging" in der Regel nichts oder nicht sehr viel.
Beispiele für "nudging", die von Thaler und Sunstein genannt werden, sind etwa die Anordnung von Speisen in einer Schulcafeteria (um die Schüler zur Wahl gesünderen Essens anzuhalten), die eingravierte Fliege im Pissoir (um das Spritzen zu minimieren) oder die automatische Voreinstellung bei Kopierern und Druckern, dass beidseitig gedruckt wird, wenn die Einstellung nicht verändert wird (zur Papierersparnis). Die Beispiele zeigen jedoch, dass es mit der viel beschworenen Transparenz nicht weit her ist: dem Benutzer eines Pissoirs wird nicht erläutert, warum dort das Bild einer Fliege eingraviert ist, und den Schülern nicht erklärt, warum ihre Lieblingsspeisen versteckt werden. Das resultiert aus dem der Verhaltensökomomik zugrunde liegenden Menschenbild, das auf dem psychologischen Behaviorismus beruht, und den Menschen als eine Art Maschine ansieht, die auf bestimmte Reize auf eine bestimmte, vorhersehbare Art reagiert und damit manipulierbar ist (Reiz-Reaktions-Ketten). In der Psychologie gilt dieser Ansatz übrigens seit den 60er Jahren als überholt.
Aus historischer Sicht ist zweierlei anzumerken: erstens, viele der von den Autoren genannten Beispiele sind im Grunde alter Wein in neuen Schläuchen. Die Anordnung von Waren zur subtilen Beeinflussung des Konsumenten ist bereits seit Jahrzehnten in den Supermärkten (in Europa nach 1945, in den USA schon vorher) und zuvor schon in den Warenhäusern benutzt worden. Auch die Forderung nach mehr Transparenz für den Verbraucher ist nicht neu, sondern hat ihre Quelle in der Verbraucherschutzbewegung, die seit den 50er Jahren in Deutschland aktiv war (Verbraucherzentralen, Stiftung Warentest u.ä.). Andere "nudges" wie grafische Warnhinweise auf Zigarettenpackungen greifen eher auf werbepsychologische Erkenntnisse zurück (Bilder wirken besser als Worte).
Zweitens: Aus historischer Sicht besteht eigentlich keine Notwendigkeit, gegenüber den traditionellen Verfahren der Konsumregulierung skeptisch zu sein. Es lassen sich viele Beispiele dafür finden, dass Konsumpolitik es vermocht hat, den Konsum in gewünschter Weise zu beeinflussen. So sorgte die Erhöhung der Branntweinsteuer 1887 tatsächlich für einen Rückgang des Branntweinkonsums. Auch die so genannten "Abwrackprämie" (offiziell Umweltprämie genannt) von 2009 war zumindest ein wirtschaftspolitischer Erfolg (1,9 Mio. Anträge), umweltpolitisch ist sie eher umstritten. Auch Verbote entfalten Wirkung. Neuere Studien argumentieren, dass selbst die spätmittelalterlichen Kleiderordnungen und Luxusgesetze nicht nur auf dem Papier standen, wie die Forschung lange angenommen hat, sondern tatsächlich durchgesetzt wurden (Catherine Kovesi Killerby, Sumptuary Law in Italy, Oxford 2002). Sicher, in anderen Bereichen wie z.B. gesunde Ernährung war die Politik weniger erfolgreich. Dennoch: Die Beliebtheit des "nudging" lässt sich nicht einfach auf ein Versagen traditioneller Instrumentarien zurückführen. Vielmehr spiegelt sich hier die in einem anderen Blog-Beitrag ("Ende des Laissez-Faire", 10.11.15) bereits beschriebene Tendenz zu einem neuen Staatsinterventionismus im Bereich des Konsums.
Beispiele für "nudging", die von Thaler und Sunstein genannt werden, sind etwa die Anordnung von Speisen in einer Schulcafeteria (um die Schüler zur Wahl gesünderen Essens anzuhalten), die eingravierte Fliege im Pissoir (um das Spritzen zu minimieren) oder die automatische Voreinstellung bei Kopierern und Druckern, dass beidseitig gedruckt wird, wenn die Einstellung nicht verändert wird (zur Papierersparnis). Die Beispiele zeigen jedoch, dass es mit der viel beschworenen Transparenz nicht weit her ist: dem Benutzer eines Pissoirs wird nicht erläutert, warum dort das Bild einer Fliege eingraviert ist, und den Schülern nicht erklärt, warum ihre Lieblingsspeisen versteckt werden. Das resultiert aus dem der Verhaltensökomomik zugrunde liegenden Menschenbild, das auf dem psychologischen Behaviorismus beruht, und den Menschen als eine Art Maschine ansieht, die auf bestimmte Reize auf eine bestimmte, vorhersehbare Art reagiert und damit manipulierbar ist (Reiz-Reaktions-Ketten). In der Psychologie gilt dieser Ansatz übrigens seit den 60er Jahren als überholt.
Aus historischer Sicht ist zweierlei anzumerken: erstens, viele der von den Autoren genannten Beispiele sind im Grunde alter Wein in neuen Schläuchen. Die Anordnung von Waren zur subtilen Beeinflussung des Konsumenten ist bereits seit Jahrzehnten in den Supermärkten (in Europa nach 1945, in den USA schon vorher) und zuvor schon in den Warenhäusern benutzt worden. Auch die Forderung nach mehr Transparenz für den Verbraucher ist nicht neu, sondern hat ihre Quelle in der Verbraucherschutzbewegung, die seit den 50er Jahren in Deutschland aktiv war (Verbraucherzentralen, Stiftung Warentest u.ä.). Andere "nudges" wie grafische Warnhinweise auf Zigarettenpackungen greifen eher auf werbepsychologische Erkenntnisse zurück (Bilder wirken besser als Worte).
Zweitens: Aus historischer Sicht besteht eigentlich keine Notwendigkeit, gegenüber den traditionellen Verfahren der Konsumregulierung skeptisch zu sein. Es lassen sich viele Beispiele dafür finden, dass Konsumpolitik es vermocht hat, den Konsum in gewünschter Weise zu beeinflussen. So sorgte die Erhöhung der Branntweinsteuer 1887 tatsächlich für einen Rückgang des Branntweinkonsums. Auch die so genannten "Abwrackprämie" (offiziell Umweltprämie genannt) von 2009 war zumindest ein wirtschaftspolitischer Erfolg (1,9 Mio. Anträge), umweltpolitisch ist sie eher umstritten. Auch Verbote entfalten Wirkung. Neuere Studien argumentieren, dass selbst die spätmittelalterlichen Kleiderordnungen und Luxusgesetze nicht nur auf dem Papier standen, wie die Forschung lange angenommen hat, sondern tatsächlich durchgesetzt wurden (Catherine Kovesi Killerby, Sumptuary Law in Italy, Oxford 2002). Sicher, in anderen Bereichen wie z.B. gesunde Ernährung war die Politik weniger erfolgreich. Dennoch: Die Beliebtheit des "nudging" lässt sich nicht einfach auf ein Versagen traditioneller Instrumentarien zurückführen. Vielmehr spiegelt sich hier die in einem anderen Blog-Beitrag ("Ende des Laissez-Faire", 10.11.15) bereits beschriebene Tendenz zu einem neuen Staatsinterventionismus im Bereich des Konsums.
Freitag, 18. März 2016
Schockbilder auf Zigarettenschachteln
Der Deutsche Bundestag hat Ende Februar ein Gesetz verabschiedet, das die Tabakkonzerne verpflichtet, auf ihren Zigarettenverpackungen ab Mai große Schockbilder (2/3 der Verpackung) abzudrucken. Damit wird im Kampf gegen das Rauchen eine neue Eskalationsstufe erreicht. Hier sind ein paar historisch inspirierte Vorschläge für solche Schockbilder:
Billy
Die Konsumgeschichte ist ein Feld, das zumeist wissenschaftlich gebildete Experten anspricht. Nur selten schaffen es Themen der Konsumgeschichte in die Publikumszeitschriften. Doch es gibt Ausnahmen: Vor einigen Tagen (am 7. März) meldeten alle großen Zeitungen (FAZ, Süddeutsche, Welt, Spiegel etc.), dass Gillis Lundgren gestorben ist. Der schwedische Designer galt als "Erfinder" des Billy-Regals von IKEA, das nach Konzernangaben über 41 Mio. mal verkauft wurde (das "Bücherregal des Abendlandes", so Kurt Kister in der Süddeutschen). Daneben erfährt man aus den genannten Presseberichten so interessante Details, wie z.B. dass das 1979 eingeführte Regal anfangs nur in Fichte und Eiche erhältlich war, oder dass Lundgren auch die Idee hatte, die Möbel zerlegt in flachen Paketen zu verkaufen. Insgesamt ist den Presseberichten deutlich anzumerken, dass sie auf einer Pressemitteilung des IKEA-Konzerns beruhen, wie überhaupt IKEA sehr bestrebt ist, seine Geschichte selbst zu erzählen und die Deutungshoheit zu behalten.
Nun wäre es vielleicht reizvoll, eine kritische Unternehmensgeschichte zu schreiben, die u.a. die intransparente Konzernstruktur, die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern, die Produktion in Billiglohnländern oder die faschistische Vergangenheit des Konzerngründers Ingvar Kamprad thematisiert. Aber hier soll es mehr um eine Einordnung in die großen Trends der Konsumgeschichte gehen. Und da fällt IKEA in dieselbe Kategorie wie McDonald´s oder Aldi. Das Grundprinzip ist immer dasselbe: das Unternehmen macht Gewinn durch hohen Umsatz bei relativ niedrigen Preisen. Die niedrigen Preise erreicht man einmal durch Größenvorteile und Preisdruck auf die Lieferanten, zum anderen aber, und das ist konsumhistorisch interessant, durch die Abwälzung eines Teils der Arbeit auf die Konsumenten. Ebenso wie die Montage von Möbeln war auch der Service im Restaurant schwer zu rationalisieren, die klassische Massenproduktion stieß hier an Grenzen. Daher die Idee, den Teil der Arbeit, der sich nicht standardisieren und rationalisieren ließ, auf den Kunden zu verlagern: Transport und Zusammenbau der Möbel bei IKEA, das Essenholen und Abräumen der Tische bei McDonald´s, das Auspacken und die Präsentation der Waren beim Discounter (wo sie in der Regel in den von Großhandel gelieferten Kartons aufgestellt werden).
Diese Strategie, die George Ritzer als "McDonaldisierung" bezeichnete, hat einige Jahrzehnte gut funktioniert. Sie hat zwar ältere Wurzeln, aber die Expansion der genannten Unternehmen setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem seit den 70er Jahren ein. Mittlerweile gibt es aber Anzeichen, dass sich das Geschäftsmodell etwas erschöpft hat. McDonald´s hat selbst in den USA Probleme. Vergangenes Jahr fragte die BBC, ob die Liebesaffäre der Amerikaner mit der Fast-Food-Kette zu Ende gehe. Die Discounter müssen gleichfalls kämpfen, zum Teil mit Hypermärkten, die eine größere Auswahl bieten, zum Teil mit Handelsmarken in regulären Supermärkten. Und IKEA? Das Unternehmen expandiert zwar weiter, sieht sich aber gleichzeitig neuer Konkurrenz durch den online-Handel gegenüber. Es bleibt abzuwarten, ob die "McDonaldisierung" sich fortsetzt, oder an den gestiegenen Erwartungen der Konsumenten scheitert.
Nun wäre es vielleicht reizvoll, eine kritische Unternehmensgeschichte zu schreiben, die u.a. die intransparente Konzernstruktur, die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern, die Produktion in Billiglohnländern oder die faschistische Vergangenheit des Konzerngründers Ingvar Kamprad thematisiert. Aber hier soll es mehr um eine Einordnung in die großen Trends der Konsumgeschichte gehen. Und da fällt IKEA in dieselbe Kategorie wie McDonald´s oder Aldi. Das Grundprinzip ist immer dasselbe: das Unternehmen macht Gewinn durch hohen Umsatz bei relativ niedrigen Preisen. Die niedrigen Preise erreicht man einmal durch Größenvorteile und Preisdruck auf die Lieferanten, zum anderen aber, und das ist konsumhistorisch interessant, durch die Abwälzung eines Teils der Arbeit auf die Konsumenten. Ebenso wie die Montage von Möbeln war auch der Service im Restaurant schwer zu rationalisieren, die klassische Massenproduktion stieß hier an Grenzen. Daher die Idee, den Teil der Arbeit, der sich nicht standardisieren und rationalisieren ließ, auf den Kunden zu verlagern: Transport und Zusammenbau der Möbel bei IKEA, das Essenholen und Abräumen der Tische bei McDonald´s, das Auspacken und die Präsentation der Waren beim Discounter (wo sie in der Regel in den von Großhandel gelieferten Kartons aufgestellt werden).
Diese Strategie, die George Ritzer als "McDonaldisierung" bezeichnete, hat einige Jahrzehnte gut funktioniert. Sie hat zwar ältere Wurzeln, aber die Expansion der genannten Unternehmen setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem seit den 70er Jahren ein. Mittlerweile gibt es aber Anzeichen, dass sich das Geschäftsmodell etwas erschöpft hat. McDonald´s hat selbst in den USA Probleme. Vergangenes Jahr fragte die BBC, ob die Liebesaffäre der Amerikaner mit der Fast-Food-Kette zu Ende gehe. Die Discounter müssen gleichfalls kämpfen, zum Teil mit Hypermärkten, die eine größere Auswahl bieten, zum Teil mit Handelsmarken in regulären Supermärkten. Und IKEA? Das Unternehmen expandiert zwar weiter, sieht sich aber gleichzeitig neuer Konkurrenz durch den online-Handel gegenüber. Es bleibt abzuwarten, ob die "McDonaldisierung" sich fortsetzt, oder an den gestiegenen Erwartungen der Konsumenten scheitert.
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