Verschiedene Meldungen geistern durch die Medien, die auf einen neuen staatlichen Interventionismus im Bereich des Konsums hindeuten. In Berlin will das Bezirksparlament sexistische Werbeplakate verbieten, was einen Kommentator an die Taliban erinnert (
Tagesspiegel). In Frankreich soll ein Gesetz verabschiedet werden, das Werbung mit untergewichtigen Models verbietet; und in Großbritannien ist dieses Jahr aus diesem Grund bereits eine Werbeanzeige der Firma Yves Saint-Laurent verboten worden
(Spiegel online,
Advertising Standards Authority). In Israel ist ein entsprechendes Gesetz bereits 2013 in Kraft getreten. Hier ein link zu einer online-Petition gegen Magermodels bei Yves Saint-Laurent:
change.org
Auch Rauchverbote verbreiten sich zunehmend. Am bekanntesten sind vielleicht das Volksbegehren und der Volksentscheid 2010 in Bayern für ein vollständiges Rauchverbot in Gaststätten. Es zeigte, dass Eingriffe in die Konsumentenfreiheit auch in westlichen Staaten eine hohe Akzeptanz besitzen, wenn sie gut begründet werden.Vorreiter bei der besonders umstrittenen Einführung des Rauchverbots in Gaststätten waren Irland und Norwegen, wo entsprechende Verbote schon 2004 in Kraft gesetzt wurden. Auch bei Rauchern gibt es eine gewisse Sympathie für Rauchverbote in Gaststätten. In Deuteschland sind ungefähr ein Drittel der über 15-Jährigen Raucher, bezogen auf die Gesamtbevölkerung ca. 23 %. In Europa schwankt der Raucheranteil zwischen 18 % in Norwegen und 35 % in Griechenland. Seit Einführung des Rauchverbots in Gaststätten ist die Zahl der Herzinfarkte in Deutschland um 8 % zurück gegangen (
DAK).
In der Tat ist die Begründung der staatlichen Eingriffe interessant. Sie sind nicht einheitlich, allerdings spielt die Sorge um die öffentliche Gesundheit eine große Rolle. So wird die Werbung mit untergewichtigen Models kritisiert, weil zu befürchten steht, dass sie (insbesondere bei jungen Frauen und Mädchen) Magersucht fördere. Der Zusammenhang ist so direkt schwer nachzuweisen. Eine neuere
psychologische Studie will aber in der Tat einen negativen Effekt von Models in der Werbung auf das Körperselbstbild von Frauen nachgewiesen haben (bei Männern zeigt sich dieser Effekt übrigens nicht). Beim Rauchverbot in Gaststätten spielt der Arbeitsschutz die ausschlaggebende Rolle. Da Gaststätten Arbeitsplätze sind, gilt es, so das Argument, die Beschäftigten vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen. Bei dem Verbot sexistischer Werbung geht es dagegen weniger um gesundheitliche Fragen als um die Gleichstellung von Mann und Frau. Interessant sind übrigens die historischen Parallelen. Auch im deutschen Kaiserreich diente der Arbeitsschutz als Vehikel zur gesetzlichen Beschränkung von Ladenöffnungszeiten, insbesondere an Sonntagen (1891 und 1900).
Die Begründungen sind also unterschiedlich, aber die Tendenz scheint doch in die Richtung eines größeren staatlichen Interventionismus zu gehen. Ist das liberale Laissez-Faire im Bereich des Konsums also vorbei? Der amerikanische Historiker Gary Cross ließ seine Studie über Konsum im 20. Jahrhundert noch mit dem Triumph des Marktes seit der Reagan-Ära enden. Ist nun diese Zeit der weitgehend freien Märkte mit Betonung der Konsumentensouveränität an ihr Ende gekommen? Und was kommt danach? Ein neuer staatlicher Interventionismus, der sich auf die öffentliche Gesundheitsvorsorge (public health) beruft? Anders als Gary Cross vermutete, ist es aber nicht primär der Schutz von
Kindern, der als Vehikel zur Beschränkung der Konsumentensouveränität
dient.
Beides (die Betonung der ungehemmten Konsumentensouveränität wie der staatliche Interventionismus) ist nicht unproblematisch. Die Berufung auf die Freiheit der Märkte droht den Konsumenten gegenüber den Produzenten zu benachteiligen, da letzterer in der Regel einen Informationsvorsprung besitzt, der nur schwer einzuholen ist. Die Berufung auf die öffentliche Gesundheit birgt aber die Gefahr, zu einem Paternalismus der Experten zu auszuarten. Eine Debatte darüber findet bisher allerdings nicht oder nur in Ansätzen statt.
Nachtrag (Dezember 2015): Das geplante Gesetz gegen zu dünne Models in Frankreich ist nun verabschiedet worden. Demnach benötigen Models eine medizinische Bescheinigung, dass sie nicht krankhaft dünn sind.