Während zur Zeit heftig um einen Ausweg aus der Euro-Krise gestritten wird, lohnt es vielleicht, einen Blick auf die aktuelle Diskussion aus dem Blickwinkel des Konsums und der Konsumgeschichte zu werfen. Anders gefragt: Ist das Ausmaß der Krise in Griechenland wirklich so schlimm? Haben wir Daten, die das belegen können? Und wie verhält sich die gegenwärtige griechische Rezession zu anderen bekannten Beispielen aus der Geschichte, vor allem natürlich der Weltwirtschaftskrise von 1929ff.?
Zunächst zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts: Während das BIP pro Kopf in der Weltwirtschaftskrise in den USA oder Deutschland um ca. 18-20 % schrumpfte, erreicht die derzeitige Rezession in Griechenland ähnliche Ausmaße. Zwischen 2008 und 2013 sank das griechische BIP pro Kopf real um ca. 17 % (Daten nach OECD), und wuchs 2014 nur leicht wieder (ca. 0,6 %). Dass der Konsum davon nicht unberührt bleiben kann, versteht sich von selbst. Nach Eurostat sanken die Ausgaben für privaten Konsum zwischen 2008 und 2011 allein um ca. 15 % (Eurostat). Am stärksten sanken demnach die Ausgaben für Kleidung (28,6 %), Transport (37,5 %), Kommunikation (28,3) und Inneneinrichtung (26,6 %), offenbar also bei den nicht unbedingt notwendigen Ausgaben.
Dass aber gleichzeitig auch die Armut wuchs, wird aus den Berichten von Eurostat über die Lebensverhältnisse in Europa aus den Jahren 2010 (living conditions 2010) und 2014 (living conditions 2014) deutlich. So waren 2008 ca. 20 % der griechischen Bevölkerung von Armut bedroht, der vierthöchste Wert in der EU. 2012 war die Rate auf 23 % gewachsen und Griechenland hielt nun den höchsten Wert in der EU. Wenn nun ein Anstieg von 20 auf 23 % als nicht allzu viel erscheint, so muss daran erinnert werden, dass die Armutsrate am nationalen Durchschnittseinkommen gemessen wird, so dass bei insgesamt abnehmenden Einkommen die Armut nicht unbedingt zunehmen muss. Das Bild ändert sich, wenn man die Einkommen von der Zeit vor der Krise zugrunde legt: Gemessen am Einkommen von 2008 waren 2012 35,8 % aller Griechen von Armut bedroht. Ähnlich hoch ist die Rate der "Materiellen Deprivation" in Griechenland, definiert als Anteil der Bevölkerung, die sich mindestens drei von neun Ausgaben nicht leisten können, die als notwendig oder zumindest wünschenswert für einen akzeptablen Lebensstandard gelten. Dazu gehören die Fähigkeit, unvorhergesehene Ausgaben zu bestreiten; angemessene Heizung; jeden zweiten Tag Fleisch oder Fisch (oder ein vegetarisches Äquivalent); langlebige Konsumgüter wie Waschmaschine, Farbfernseher, Telefon oder Auto; die Fähigkeit, die Miete, Hypothek oder andere regelmäßige Zahlungen leisten zu können. Die Rate betrug in Griechenland 2012 ca. 35 %, im EU-Durchschnitt ca. 20 %. In Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Ungarn lag sie allerdings noch höher, bei über 40 %. Auch hier ist eine nähere Aufschlüsselung interessant. Während die Ernährung in Griechenland nur teilweise betroffen ist (nur ca. 15 % der Bevölkerung können sich nicht jeden zweiten Tag Fisch oder Fleisch leisten), sind viele Griechen (ca. 40 %) nicht in der Lage, unvorhergesehene Ausgaben zu finanzieren. Beeindruckender ist eine weitere Zahl: 73,1 % (also fast drei Viertel) der Griechen gaben an, dass sie große Schwierigkeiten haben, mit ihrem Einkommen auszukommen ("to make ends meet").
Insgesamt ist die Rezession also schon längst bei dem privaten Konsum angekommen. Die von der Eurokrise betroffenen Bürger, insbesondere Griechenlands, nagen vielleicht nicht direkt am Hungertuch, müssen aber sehr reale Einschränkungen ihres Lebensstandards und ihrer Konsumgewohnheiten hinnehmen. In gewisser Weise zehren die Griechen von der Substanz, d.h. ihren Ersparnissen, und schränken alle nicht unbedingt notwendigen Ausgaben ein. Das kann eine Weile gut gehen, aber die Krise dauert nun schon sechs Jahre und es wird Zeit, dass sich die Situation bessert. Ansonsten ist ein weiteres Erstarken der extremistischen Parteien zu befürchten. Man sollte sich da nichts vormachen: Auch Demokratien werden am Ende des Tages daran gemessen, ob sie ihren Bürgern einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen können. Das ist die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise.