Mittwoch, 4. Januar 2017

Reformation und Konsum

Herzlich willkommen im Jahr 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums! Vor 500 Jahren veröffentlichte bekanntlich Martin Luther seine 95 Thesen und löste damit diejenigen Ereignisse aus, die heute unter dem Oberbegriff "Reformation" zusammengefasst werden. Die Reformation gilt als wichtiger Einschnitt in der Geschichte. Gilt dies auch für die Konsumgeschichte?

Es ist zurecht bemerkt worden, dass die Reformation in eine Zeit des beginnenden oder sich zumindest verstärkenden Handelskapitalismus fiel, der auch den Konsum beförderte, wenn auch zunächst nur bei den oberen, später auch den mittleren Schichten. In der Tat gilt die niederländische Republik des 17. Jahrhunderts, die bekanntlich kalvinistisch geprägt war, als Vorläufer der modernen Konsumgesellschaft, da sie bis dahin unbekannten Wohlstand nicht für einzelne Reiche, sondern für breite Mittelschichten ermöglichte. Doch dazu später.

Die Einstellung der Reformatoren zum Konsum ist recht simpel: Sie standen ihm kritisch gegenüber, jedenfalls so weit er über ein relativ bescheidenes Maß hinaus reichte. Die Aufrufe zum Verzicht und zur Askese sind weit verbreitet. Schon in Luthers 95 Thesen heißt es in der ersten These: "Da unser Meister und Herr Jesus Christus spricht: Tut Buße etc., will er, dass das ganze Leben seiner Gläubigen auf Erden eine stete und unaufhörliche Buße sein soll." Und in seiner Schrift "An den christlichen Adel Deutscher Nation" von 1520 forderte Luther ein Gebot "wider den überschwänglichen Überfluss und Kost der Kleidung". Außerdem wetterte er gegen den Import von "Specerey", also fremden Gewürzen, die das Land arm machten und nicht nötig seien. Generell stand er dem Handel recht skeptisch gegenüber und schrieb in derselben Schrift: "Ich sehe nicht viel gute Sitten, die in ein Land kommen sind durch Kaufmannschaft...". An anderer Stelle, in der Schrift "Von Kaufshandlung und Wucher" (1524), räumte er zwar ein, dass Kaufen und Verkaufen notwendig sei, wollte dies aber auf den Handel mit notwendigen Gütern über kurze Distanzen beschränkt sehen. Den Fernhandel mit Luxuswaren (Seide, Schmuck, Gewürze) lehnte er genauso ab wie die freie Preisbildung, die er für unmoralisch hielt.

Diese Luxuskritik war weder neu noch auf Luther und den Protestantismus beschränkt. Im Prinzip lässt sich die Wertschätzung der freiwilligen Askese, des Verzichts bis in die Antike zurückverfolgen. Eine Neubewertung des Konsums setzte sich erst um 1700 durch, als Ökonomen und andere Intellektuelle den Zusammenhang zwischen Verbrauchernachfrage und Wirtschaftswachstum erkannten. Das bekannteste Beispiel dafür ist Mandevilles "Bienenfabel" von 1705 (Bienenfabel).

Wie weit die Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts von solchen Auffassungen entfernt waren, zeigt die 1619 erschienene utopische Schrift "Christianopolis" von Johann Valentin Andreä. Sie bietet ein frühes Bild einer Planwirtschaft: Die Menschen sind materiell alle gleich gestellt, Geld ist abgeschafft, und die Gemeinschaft stellt alle zum Leben notwendigen Dinge bereit - von Wohnungen bis hin zum Essen, das zwar privat eingenommen, aber in Wochenrationen zugeteilt wird.

Aus diesen Beispielen geht hervor, dass der Protestantismus nicht, wie Max Weber das getan hat, als Wegbereiter des modernen Kapitalismus in Anspruch genommen werden kann. Im Gegenteil hatte der frühe Protestantismus große Probleme mit marktwirtschaftlichen Praktiken und mit Elementen der modernen Konsumgesellschaft. In den Niederlanden, so die These des Kulturhistorikers Simon Schama (The Embarassment of Riches, 1987), war daher das schlechte Gewissen ein ständiger Begleiter des Wohlstands, der von den reformierten Geistlichen verurteilt wurde (und keineswegs als Zeichen einer Erwählung durch Gott gesehen wurde, wie Weber suggeriert). Die moderne Konsumgesellschaft (und damit der moderne Kapitalismus, der ja ohne Konsum undenkbar wäre) hat sich eher gegen den Protestantismus als durch ihn durchgesetzt.