Montag, 3. März 2014

Konsum und Politik

Heft 3/2011 der Zeitschrift „Comparativ“ (herausgegeben von Kirsten Bönker und Vera Caroline Simon) beschäftigte sich mit dem Thema „Konsum und politische Kommunikation“. Nicht zu Unrecht betonen die Herausgeber, dass Konsum und Politik in der neueren Forschung nicht mehr als Gegensätze verstanden werden. Gefragt wird dementsprechend, „wie wann und unter welchen Bedingungen Konsum politisiert, depolitisiert und entpolitisiert wurde“ (S. 9), mit Bezug auf West- und Osteuropa seit der Frühen Neuzeit. Im Einzelnen behandeln die Aufsätze recht divergente Themen: Konsum als Motiv in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts; deutsche und niederländische Radfahrerverbände in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; die politische Repräsentation des Konsumenten nach dem Ersten Weltkrieg; Planung und Partizipation in Schweden und Norwegen 1930-60; Visualisierungsstrategien in ostdeutschen und sowjetischen Printmedien 1953-64; und der „dicke Körper“ in der DDR und BRD. Die einzelnen Beiträge sind insgesamt durchaus interessant und lesenswert. In der Zusammenschau fällt jedoch die Heterogenität auf, die wohl auch damit zu tun hat, dass sowohl „Konsum“ als auch „Politik“ (bzw. „das Politische“) definitorisch recht weit gefasst werden. Sicher ist es lobenswert, dass die Autoren und Herausgeber einer simplizistischen Sichtweise nach dem Motto „Konsum plus Politik gleich fortschrittlich, Konsum minus Politik gleich Rückschritt“ (S. 9) eine Absage erteilen. Nichtsdestotrotz vermisst der Leser Hypothesen über die Zusammenhänge der beiden zentralen Begriffe, die es erlauben würden, die Beiträge besser einzuordnen.
Ein ganz anderes, nicht auf dieses Heft beschränktes Problem in der Konsumgeschichte scheint mir jedoch, dass, bei aller berechtigten Betonung der politischen Rolle des scheinbar unpolitischen Konsums, die umgekehrte Blickrichtung vernachlässigt wird. Soll heißen: es wäre einmal interessant zu fragen, nicht wie der die Politik den Konsum regulierte, sondern wie der Konsum (der Politiker) politische Entscheidungen beeinflusste. In politikgeschichtlichen Darstellungen findet sich hierzu wenig bis gar nichts. Aber ist es wirklich realistisch anzunehmen, dass beispielsweise Bismarcks exzessiver Alkoholkonsum überhaupt keine Auswirkungen auf die „große“ Politik hatte?